„Wir spielen immer“, steht auf einer alten Schauspieler-Biographie bei mir im Regal. Es ist die Biographie von Will Quadflieg, einem in den 50ziger Jahren bekannten Theater und Film-Schauspieler. (Z.B. Faust im Faustfilm von Gründgens 1957). Er meint sicher, dass Schauspieler am besten aufgehoben sind, wenn sie immer Rollen spielen- ihr Leben lang, wenn es geht. Es ist eine angreifbare Behauptung. Er hat recht, was die Bühne betrifft, aber nicht das Privatleben. Schauspieler trennen Beruf und Privatleben, keine Frage. Trotzdem traut man ihnen im Privatleben nicht so ganz, weil alle wissen, dass sie Gefühle spielen können. „Können Sie auf Kommando weinen?“ fragt mich ein Banker bei einem Workshop. „Kann ich, mal sehen, ob`s klappt!“ Stellt Euch vor, ich stehe vor einer Würstchenbude und bilde mir ganz fest ein, dass ich jetzt Würstchen essen will. Zwei Würstchen mit Senf bitte! Was? Sie haben keine mehr? Aber ich wünsche mir so sehr Würstchen mit Senf. Bitte, das – das gibt es doch nicht!“ Ich hatte einmal eine Filmszene gesehen, in der es genau diese Szene gab und ich machte sie nach. Es klappte. Ich hatte es später nochmal probiert, da funktionierte es nicht, aber beim ersten Mal. Der Banker fragte: „Wie machen sie das?“ „Mit Vorstellungskraft“. Und da liegt der Hase begraben. Die Vorstellungskraft ist bei uns trainiert und jede Emotion sofort abrufbar. Das ist für alle Leute außerhalb des Berufes so fremd. Sie können sich das nicht vorstellen. Und im engeren privaten Umfeld sind sie sich oft nicht sicher, ob wir spielen, oder ob wir echt empfinden. „Spielt die jetzt, oder ist das echt?“ Spielen wir gerade keine Rolle, neigen wir gerne zur Dramatisierung. Es gab einen alten Schauspieler in meiner Nachbarschaft und er machte sich ein Spiel daraus, die Leute in der Reinigung, wo er seine Sachen stets hinbrachte, zu nerven mit irgendeinem Rollentext einschließlich der Erläuterung, was er bei dem und dem Satz denkt. Eine halbe Stunde stand er wöchentlich am Tresen und sie mussten zuhören zwischen Mangeln und Leute bedienen. Er hatte nicht mehr viele Auftritte und verschaffte sich welche außerhalb. Vor Kurzem war ich ein wenig krank, leichte Erkältung. Panischer PCR – Text, Untersuchung in der Lungenklinik, ich hustete. „Ich habe mich in der Klinik angesteckt! Mir geht es wie Thomas Mann, wie furchtbar. Wo ist mein Zauberberg? Ich find den Zauberberg nicht, ich muss den lesen, das bin ich jetzt! Wo ist diese Klinik, die er da beschreibt?“ – Ich huste. „Hast Du dein Asthma-Spray vergessen?“ „Ach so, ja, sorry!“. Tja- eigentlich sollte ich sowas gar nicht aufschreiben, aber es ist einfach ein Beispiel für den Hang zur Dramatisierung. Das hört erst auf, wenn man eine Rolle nach der anderen spielt. Dann ist man um die Ruhe im Privatleben froh. Und dann kommt noch dazu, dass wir schon vorspielen können, wie wir gerade wirken wollen. Auf keinen Fall darf man sich anmerken lassen, dass man beim Schluss-Applaus einer letzten Vorstellung nicht weiß, wie man die nächste Miete zahlt, da noch kein Anschlussengagement da ist.

Das ist dann mein nächstes Thema: „Künstler kommen immer irgendwie durch!“.